Nährstoffmangel bei veganer Ernährung: Realität oder Irrglaube?
Ganz egal, ob du dich vegan ernährst, dich dafür interessiert oder dir vegane Ernährung außerhalb des Veganuary bislang ein Fremdwort ist – Sprüche wie „Vegane Ernährung ist gefährlich!“ oder „Es ist nicht möglich vegan alle wichtigen Nährstoffe abzudecken.“ sind dir bestimmt schon mal begegnet. Doch was ist dran an den Behauptungen?
Die vegane Ernährungsweise scheint in den letzten Jahren regelrecht zu boomen. Immer mehr Fleischersatzprodukte und Milchalternativen schmücken unsere Supermarktregale. Sogar bekannte Fast-Food-Ketten und Restaurants bieten mittlerweile zunehmend vegane Alternativen an. Das zeigen auch die Zahlen des Ernährungsreports von 2021 des BMEL. Nicht nur die Anzahl der Vegetarier in Deutschland ist von 5% auf 10% gestiegen, sondern auch die der Veganer hat sich von 1% auf 2% verdoppelt. (1)
Warum sich Menschen für eine vegane Ernährung entscheiden, kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Eine Studie zeigt, dass die meisten Menschen sich aus Tierschutzgründen vegan ernähren. Aber auch der Umwelt oder sich selbst etwas Gutes zu tun, wird häufig genannt. Geschmack, Interesse am Trend und religiöse Gründe sind ebenfalls Auslöser. (2) Entscheidest du dich für eine vegane Ernährung oder ernährst du dich vielleicht bereits schon vegan, rate ich dir unbedingt dazu, dich mit den Grundlagen und den potentiellen Mängeln auseinanderzusetzen.
Jede Ernährungsform kann zu einem Mangel führen
Egal ob vegan, vegetarisch oder mischköstlich – vor einem Nährstoffmangel ist grundsätzlich niemand sicher. Mischköstlern, die sich größtenteils von Fast Food ernähren, werden ebenso wichtige Nährstoffe fehlen, wie Veganern, die von heute auf morgen einfach nur tierische Produkte weglassen. Jede Ernährungsweise bedarf einer gewissen Planung und Kenntnisse darüber, welche Lebensmittel uns mit welchen Nährstoffen versorgen. Und auch bei jeder Ernährungsweise gibt es kritische und weniger kritische Nährstoffe.
Bevor ich auf die potentiell kritischen Nährstoffe bei veganer Ernährung im Einzelnen eingehe, gebe ich dir hier erstmal einen Überblick über die verschiedenen Lebensmittelgruppen. Vielleicht hast du schon mal von der Lebensmittelpyramide gehört. Sie veranschaulicht die Prinzipien einer vollwertigen Ernährung und zeigt auf, welche Lebensmittelgruppen in welchen Mengen verzehrt werden sollen. Hier gibt es ähnliche Abbildungen von verschiedenen Institutionen, wie zum Beispiel der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) oder der Bundeszentrale für Ernährung (BZfE). Sie alle beinhalten Milchprodukte sowie Fleisch und Fisch. Heißt das also im Umkehrschluss eine vegane Ernährung kann nicht vollwertig sein? Keine Sorge! Das heißt es nicht. Eine vegane Ernährung benötigt nur andere Spielregeln.
Die vegane Lebensmittelpyramide
Vom Aufbau ähnelt die vegane Lebensmittelpyramide stark der herkömmlichen, mischköstlichen Lebensmittelpyramide. Auch hier sollten Getränke, bestenfalls Wasser, mengenmäßig den größten Anteil unserer Ernährung ausmachen, gefolgt von Obst und Gemüse sowie anschließend von Vollkorngetreide und Kartoffeln.
Der erstmalige deutliche Unterschied ist das Auftauchen von Nüssen und Saaten sowie von Proteinquellen in Form von Hülsenfrüchten o. Ä. und Milchalternativen. Sie ersetzen an dieser Stelle die sonst dargestellten Milch-, Fleisch- und Fischprodukte.
Nüsse und Saaten enthalten nicht nur essentielle Fettsäuren, sondern auch Proteine sowie wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Daher sollten sie aus meiner Sicht, als Ökotrophologin, in keinem Speiseplan fehlen – egal, ob vegan oder nicht vegan. Aufgrund der hohen Kaloriendichte sollte beim Verzehr dennoch nicht übertrieben werden – gerne täglich, aber dafür in Maßen.
Hülsenfrüchte, wie Erbsen, Bohnen oder Linsen sind gute vegane Proteinquellen und sollten mindestens mehrmals wöchentlich verzehrt werden. Aber auch leicht verarbeitete Produkte, wie Tofu oder Tempeh, sind empfehlenswert. Stark verarbeitete Fleischersatzprodukte mit langen Zutatenlisten hingegen sind weniger empfehlenswert.
Milchersatz und Milchersatzprodukte, beispielsweise aus Soja, können ebenfalls einen Beitrag zur Eiweißversorgung, aber auch zur Vitamin- und Mineralstoffversorgung, leisten. Hier gilt wieder: Ein Blick auf die Zutatenliste lohnt sich. Stehen dort viele Zutaten, von denen du noch nie etwas gehört hast, geschweige denn, dass du sie aussprechen kannst, dann schaue dich bestenfalls nach einer Alternative mit weniger Zutaten um.
Öle, Fette und Salz sollten, wie auch in der mischköstlichen Ernährung, in Maßen konsumiert werden. Die Auswahl hochwertiger Öle, welche reich an Omega-3-Fettsäuren sind, ist besonders empfehlenswert. Warum Omega-3-Fettsäuren so wichtig sind und wie du sie vegan abdecken kannst, erfährst du später im Artikel.
Genussmittel wie Süßigkeiten, Alkohol oder Fertigprodukte sind die einzigen Lebensmittel, die wir nicht zum Überleben brauchen. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass wir ganz darauf verzichten müssen. Ein Stück Kuchen bei der Oma oder das Glas Wein mit Freunden – das bringt uns nicht um. Die Menge macht das Gift. Genuss gehört zum Leben dazu.
Wo du Rezepte für deinen nächsten veganen Genussmoment findest, verrate ich die am Ende des Artikels.
Zusätzlich zu ergänzen, ist eine vollwertige Ernährung grundsätzlich immer mit ausreichend Bewegung. Das muss nicht immer zwingend Sport sein. Auch ein 30-minütiger Spaziergang oder regelmäßig die Treppe, statt den Aufzug zu nehmen, ist von Vorteil.
Welche Rolle B12 in der veganen Lebensmittelpyramide spielt, erfährst du weiter unten im Beitrag.
Überblick: 10 potentiell kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung
1. Proteine aus der Nahrung versorgen uns mit essentiellen Aminosäuren und Stickstoff, die unser Körper benötigt, um selbst Proteine aufzubauen. Diese übernehmen als Struktur-, Transport- und Rezeptorproteine sowie als immunaktive Proteine und andere stickstoffhaltige Verbindungen wichtige Funktionen. Zudem sind Aminosäuren unabdingbar für den Aufbau verschiedener Stoffwechselprodukte, wie beispielsweise Gallensäure, Serotonin oder Histamin. Nahrungsproteine sind außerdem Energielieferanten. (3)
Vegane Proteinquellen:
- Erbsen, Kichererbsen, Linsen, Sojabohnen, Mungobohnen, Lupinen, Kidneybohnen, Weiße Bohnen
- Tofu, Tempeh, Seitan
- Quinoa, Amaranth, Buchweizen, Haferflocken
- Walnüsse, Mandeln, Cashewnüsse, Paranüsse, Erdnüsse, Haselnüsse
- Hanfsamen, Chiasamen, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne
- Vollkornprodukte wie Vollkornbrot oder Vollkornpasta
- Sojadrink & -joghurt, Erbsendrink & -joghurt
2. Langkettige Omega-3-Fettsäuren sind wichtig für das Wachstum und die Gehirnentwicklung. Darüber hinaus spielen sie eine Rolle für unsere Herz-Kreislauf-Gesundheit. Indem sie das Fließen des Blutes positiv beeinflussen, können sie uns vor gefährlichen Ablagerungen in den Blutgefäßen schützen. Ebenso haben sie einen Einfluss auf unsere Muskelfunktion sowie auf Entzündungs- und Immunreaktionen. (4)
Vegane Omega-3-Fettsäurequellen:
- Rapsöl, Walnussöl, Sojaöl, Leinöl
- Leinsamen, Chiasamen, Hanfsamen, Walnüsse
- Mikroalgen, Algenöl
Achtung! In Saaten, Nüssen und Ölen ist lediglich die Alpha-Linolensäure enthalten. Dabei handelt es sich zwar ebenfalls um eine Omega-3-Fettsäure, jedoch ist diese nur die Vorstufe von den wichtigen, langkettigen Fettsäuren EPA und DHA. Unser Körper ist allerdings in der Lage die Alpha-Linolensäure in EPA und DHA umzuwandeln. Da die Umwandlungsrate jedoch schwankt, rate ich dazu, dir ggf. eine ärztliche Meinung einzuholen. Mikroalgen und Algenöl hingegen enthalten selbst EPA und DHA und können uns so auf direktem Wege mit den wichtigen Fettsäuren versorgen.
3. Vitamin D trägt durch die Beteiligung am Calcium- und Phosphatstoffwechsel zur Stärkung der Knochen bei. Aber auch für weitere Stoffwechselvorgänge im Körper benötigen wir Vitamin D. Es hat einen Einfluss auf unsere Muskelkraft und unser Immunsystem. (5)
Besonderheit Vitamin D: Unser Körper ist mit Hilfe der Sonnenlichtbestrahlung der Haut in der Lage Vitamin D selbst zu bilden. Das macht den Großteil unserer Vitamin-D-Versorgung aus. Über die Nahrung nehmen wir nur einen sehr geringen Teil Vitamin D auf. Zu veganen Vitamin-D-Quellen gehören beispielsweise Champignons, Pfifferlinge, Steinpilze oder Margarine. Die Bildung von Vitamin D mithilfe des Sonnenlichts ist von verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise der Jahres- und Tageszeit, dem Wetter oder den Breitengraden, in denen wir leben, abhängig. Daher würde ich bei jeder Ernährungsweise dazu raten, die optimale Versorgung mit deinem Arzt zu besprechen.
4. Vitamin B2, auch Riboflavin genannt, ist an zahlreichen Reaktionen unseres Protein- und Energiestoffwechsels beteiligt. Auch beim Stoffwechsel anderer Vitamine nimmt Riboflavin eine relevante Rolle ein. Zudem sorgt es für die Erhaltung der Schutzschicht, welche unsere Nervenbahnen umgibt und Krankheiten abwehrt. Ebenso wichtig ist es für die Entgiftung, genauer gesagt den Abbau von Medikamenten im Körper. (6)
Vegane Vitamin-B2-Quellen:
- Champignons, Austernpilze
- Mandeln, Cashewkerne, Erdnüsse, Haselnüsse, Walnüsse, Kürbiskerne
- Brokkoli, Grünkohl, Spinat, Rosenkohl, rote Paprika, Avocado
- Vollkornbrot, Haferflocken
- Sojabohnen, Linsen, Mungobohnen
5. Vitamin B12 ist nicht nur an unserer DNA-Synthese beteiligt, sondern hat auch eine Schlüsselfunktion bei der Blutbildung und ist somit von enormer Bedeutung. Außerdem spielt es eine Rolle beim Abbau von Fettsäuren. (7)
Besonderheit Vitamin B12: Die Herstellung von Vitamin B12 ist ausschließlich durch Mikroorganismen möglich. Mithilfe der Nahrungskette gelangt es letztendlich in Tier und Mensch. Daher sind gute Vitamin-B12-Lieferanten tierischer Natur. Zwar können auch vegane Lebensmittel wie zum Beispiel Meeresalgen oder Shiitake-Pilze Vitamin B12 enthalten, aber deren Gehalt schwankt enorm. Daher lautet die Empfehlung für eine vegane Ernährung ganz klar: Dauerhafte Einnahme eines Vitamin B12-Supplements.
6. Calcium ist insbesondere für unsere Knochen und Zähne enorm wichtig. Als baulicher Bestandteil sorgt es für ihre Stabilität. Darüber hinaus benötigen wir den Mineralstoff für die Blutgerinnung, zur Stabilisierung von Zellwänden, für die Signalübermittlung in Muskel- und Nervenzellen und das Weiterleiten von Reizen in unseren Zellen. (8)
Vegane Calciumquellen:
- Calciumreiches Mineralwasser, angereicherte Pflanzenmilch
- Sesamsamen, Chiasamen, Leinsamen
- Mandeln, Haselnüsse, Pistazien, Paranüsse, Walnüsse
- Grünkohl, Rucola, Kohlrabi, Spinat, Brokkoli
- Sojabohnen, Tofu, Haferflocken
7. Eisen ist gebunden an das Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) und das Myoglobin (roter Muskelfarbstoff) und am Transport von Sauerstoff in unserem Körper beteiligt. Es trägt zur Blutbildung bei und ist von zentraler Bedeutung in weiteren Stoffwechselprozessen. Insbesondere für die optimale Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es unerlässlich. (9)
Vegane Eisenquellen:
- Sesamsamen, Hanfsamen, Leinsamen, Kürbiskerne
- Pistazien, Mandeln, Haselnüsse, Walnüsse
- Haferflocken, Amaranth, Quinoa, Buchweizen, Vollkornpasta, Vollkornbrot
- Sojabohnen, Mungo Bohnen, Kichererbsen, Linsen
- Aprikosen, Pflaumen
- Spinat, Rucola, Grünkohl, Rote Bete
Tipp: In Kombination mit Vitamin C kann die Eisenaufnahme verbessert werden. Es lohnt sich also zum morgendlichen Müsli einen frisch gepressten Orangensaft zu trinken.
8. Jod benötigen wir für den Aufbau unserer Schilddrüsenhormone. Diese aktivieren unseren Energiestoffwechsel und fördern das Wachstum sowie die Knochenbildung. (10)
Vegane Jodquellen:
- Algen
- Jodiertes Speisesalz
9. Zink übernimmt sehr vielfältige Aufgaben in unserem Körper und ist an zahlreichen Prozessen beteiligt. Es ist nicht nur von Bedeutung für den Protein- Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel, sondern auch für Hormone und Rezeptoren. Zudem ist Zink an der Insulinspeicherung und der Aktivierung unseres Immunsystems beteiligt. (11)
Vegane Zinkquellen:
- Sesamsamen, Leinsamen, Chiasamen, Sonnenblumenkerne, Kürbiskerne
- Erdnüsse, Walnüsse, Mandeln, Cashewnüsse, Haselnüsse
- Haferflocken, Amaranth, Buchweizen, Quinoa, Vollkornbrot, Vollkornpasta
- Sojabohnen, Kichererbsen, Linsen, Tofu
10. Selen ist ein wichtiger Baustein von antioxidativen Enzymen, welche uns vor freien Radikalen schützen und somit Zellschädigungen vorbeugen. Es fördert zusätzlich den Aufbau von Schilddrüsenhormonen und stärkt das Immunsystem. (12)
Vegane Selenquellen:
- Paranüsse, Walnüsse, Erdnüsse, Mandeln
- Frische Steinpilze
- Erbsen, Kichererbsen, Linsen
- Weizenpasta, Haferflocken, Buchweizen
Wie du vielleicht festgestellt hast, ist es auch mit der veganen Ernährungsweise möglich alle wichtigen und potentiell kritischen Nährstoffe abzudecken. Die einzige Ausnahme bildet hier Vitamin B12, welches als Supplement eingenommen werden sollte. Vitamin D nimmt unabhängig von der Ernährungsform eine Sonderstellung ein, da wir es zum Großteil mithilfe der Sonneneinstrahlung selbst produzieren können. Die individuelle Absprache mit einem Arzt ist hier in jedem Fall sinnvoll.
Wir halten fest: Wie bei jeder anderen Ernährungsform auch, bedarf es bei veganer Ernährung bloß der richtigen Planung und dem Wissen darüber, was gegessen werden muss, um alle Nährstoffe abzudecken. Ist das getan, heißt es: Ausprobieren und Genießen!
Quellen:
1) https://www.bmel.de/DE…
2) https://veganz.de/wp-content/…
3) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/protein/
4) https://www.dge.de/…
5) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/vitamin-d/
6) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/riboflavin/
7) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/vitaminb12/
8) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/calcium/
9) https://www.bfr.bund.de/…
10) https://www.dge.de/uploads/…
11) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/zink/
12) https://www.dge.de/wissenschaft/faqs/selen/